Das Flüstern der Stadt - die Perspektive eines Neuankömmlings

Veröffentlicht am Donnerstag, 12. Dezember 2024
"Ich bin hier, um mir ein Leben aufzubauen, um meine Geschichte zusammen mit deiner zu schreiben."
"Ich bin hier, um mir ein Leben aufzubauen, um meine Geschichte zusammen mit deiner zu schreiben."

Auch in Bad Mergentheim leben viele Geflüchtete. Damit deren Integration gelingt, braucht es sowohl Interesse aneinander als auch die Offenheit, sich kennenlernen zu wollen. Gemeinsam mit der städtischen Integrationsbeauftragten Kornelia Perleth möchten wir neben vielen konkreten Projekten und Veranstaltungen auch Raum für Texte geben, damit Geflüchtete ihre Geschichte erzählen können. Und zugleich davon berichten, welche Hoffnungen sie mit Bad Mergentheim verbinden, wie sie sich einbringen möchten und wo sie nach mehr Miteinander suchen.

Dafür wird an dieser Stelle in unregelmäßigen Abständen die afghanisch-stämmige Autorin und Bloggerin Mahdia Hosseini schreiben, die im Iran aufwuchs und seit 2023 in der Bad Mergentheimer Kernstadt lebt. Sie beginnt in ihrem Auftakt-Artikel mit einem Erlebnisbericht.


Das Flüstern der Stadt

Von Mahdia Hosseini

Bad Mergentheim erschloss sich mir langsam, wie die ersten Seiten eines noch ungelesenen Buches. Jede Ecke, jede gepflasterte Straße, fühlte sich an wie eine Einladung, die Seite umzublättern, um etwas Neues zu entdecken. Die Größe dieses Ortes, klein im Vergleich zu der endlosen Skyline der Stadt, die ich einst mein Zuhause nannte, brachte mich dazu, mich zu fragen, wie ich hier meine eigene Geschichte finden würde.

Was ich zuerst entdeckte, war das Kulturforum der Stadt. Es fühlte sich sofort wie ein Ort an, zu dem ich gehören könnte. Ich stellte mir vor, wie sich meine Geschichten in seinen Mauern entfalten würden, und träumte davon, Veranstaltungen zum Geschichtenerzählen und Schreibworkshops zu veranstalten, bei denen Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund zusammenkommen könnten.

Das Forum fühlte sich an wie ein Versprechen auf Verbindung, und es weckte etwas Hoffnungsvolles in mir.

Von dort aus ging ich hinüber zur Bibliothek. Für mich sind Bibliotheken das Herz eines jeden Ortes, sie beherbergen seine Geschichte, Kultur und Menschen. Diese Bibliothek hat mich nicht enttäuscht. Ich traf freundliche, neugierige Menschen, und als ich zwischen den Regalen umherwanderte, fühlte ich mich vom Erbe der Stadt umgeben, wobei viele Bücher einen Einblick in die Vergangenheit der Stadt boten. Hier begann ich mich geerdet zu fühlen und wurde daran erinnert, dass es auch fern der Heimat Geschichten gibt, die uns alle verbinden.

Nach meinem Besuch in der Bibliothek beschloss ich, die Gassen zu erkunden. Enge, verwinkelte Gassen haben etwas, das mich anspricht; sie sind wie verborgene Adern, die die leisen Geschichten einer Stadt erzählen. Mit jedem Schritt hatte ich das Gefühl, auf Erinnerungen zu stoßen, gerahmt von Kopfsteinpflaster und Mauern.

Und dann der Park. Eine grüne Oase mit Bänken und hochgewachsenen Bäumen. Hier fand ich einen Ort zum Innehalten und Durchatmen. Ich beobachtete spielende Kinder, lachende Familien und spürte eine stille Freude am bloßen Beobachten. In der Nähe stand stolz das Schloss als stilles Zeugnis der geschichtsträchtigen Vergangenheit der Stadt. Es ließ Geschichten von Königen, Schlachten und vergangenen Tagen widerhallen.

Ich überquerte eine Brücke über den Fluss. Sein sanftes Fließen erinnerte mich an die Kontinuität der Stadt, an die Generationen vor mir, die an seinen Ufern standen.

Inmitten dieser Schönheit sah ich auch eine subtile Distanz zwischen den Menschen. Ich bemerkte kleine, freundliche Lächeln, die kurz vor dem Gesprächsbeginn stehen blieben. Es war, als ob unter der Geste der Freundlichkeit noch Platz für eine engere Verbindung wäre.

Um mich herum bemerkte ich die vertrauten Elemente einer Gemeinschaft: Italienische Eisdielen, türkische Restaurants und einen Wochenmarkt mit frischen Produkten, die von freundlichen Einheimischen gebracht werden. Afrikanische Geschäfte präsentieren farbenfrohe Traditionen, Schulen leiten die nächste Generation an, und Kindergärten summen vom Lachen der Kinder. All das ist in das reiche Gewebe dieser Stadt eingewoben.

Bei meinen Spaziergängen kam ich auch an den Unterkünften für Neuankömmlinge vorbei. Einige Bewohner schienen zu zögern, nach draußen zu gehen, zurückgehalten von der Ungewissheit ihrer Umstände. Viele warten auf Entscheidungen, die ihr Leben bestimmen werden, und wissen nicht, ob sie sich einleben oder weiterziehen sollen. Für sie ist die Zugehörigkeit eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt.

Vielleicht sehen die Menschen in Bad Mergentheim auch mich nur als einen weiteren Neuankömmling, eine Frau im Hidschab, eine Fremde. Sie könnten vielleicht denken, dass ich wegen eines Jobs hier bin oder dass ich kein Interesse an Integration habe oder dass ich nicht viel zu bieten habe.

Aber ich habe eine Geschichte zu erzählen. Ich bin mehr als das, was du an der Oberfläche siehst.

Ich bin nicht nur eine Frau, die durch eure Straßen geht, nicht nur ein weiteres Gesicht, das ihr vielleicht nicht erkennt. Ich bin eine Schriftstellerin. Ich schreibe meine Worte, weil ich sie nicht für mich behalten kann. Diese Geschichten sind meine Art, mich mit anderen zu verbinden, zu teilen, wer ich bin. Und ich weiß, dass es unzählige andere wie mich hier gibt. Menschen, deren Geschichten darauf warten, gehört zu werden.

Sie fragen sich vielleicht, wie es für mich ist, an einem neuen Ort anzukommen, durch die Straßen zu gehen und zu versuchen, meinen Platz zu finden. Vielleicht denken Sie, es sei alles zu anders, zu fremd. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen: Wenn ich durch eure Gassen gehe, den Park besuche und eure Geschäfte erkunde, sehe ich die Gemeinsamkeiten, die uns alle verbinden.

Die Geschichte, die Ihre Stadt geprägt hat, ist vielleicht nicht meine Geschichte, aber der Wunsch, sich sicher zu fühlen, dazuzugehören, unsere Geschichten zu teilen, das ist universell.

Vielleicht sind Sie jemand, der mich nur als einen weiteren Neuankömmling sieht, jemanden, der nicht in Ihre Kleinstadt gehört. Aber wenn Sie sich meine Geschichte anhören, werden Sie erfahren, dass ich nicht hier bin, um mich abzugrenzen. Ich bin hier, um dazuzugehören. Ich bin hier, um mir die Kultur zu eigen zu machen, von ihr zu lernen und etwas zurückzugeben.

Ich bin hier, um mir ein Leben aufzubauen, um meine Geschichte zusammen mit deiner zu schreiben.

Ich bin ein Autor. Ich bin jemand, der schlicht daran glaubt, dass „die kürzeste Entfernung zwischen zwei Menschen eine Geschichte ist“. Haben Sie keine Angst, Ihre eigene Geschichte zu erzählen. Haben Sie keine Angst, sich die Geschichten anderer anzuhören. Es gibt so viel voneinander zu lernen, wenn wir uns nur die Zeit nehmen, zuzuhören.

Durch das Kulturforum, die Bibliothek, die Gassen, den Park und die Menschen, die ich getroffen habe, beginne ich zu verstehen, dass diese Stadt, Ihre Stadt, einen tiefen Brunnen von Erzählungen hat. Einige sind in Büchern geschrieben, andere auf den Straßen, und noch mehr warten darauf, von den Menschen, die hier leben, erzählt zu werden.

Menschen, die hier leben. Ich möchte ein Teil davon sein. Wenn Sie eine Geschichte haben, die Sie mit uns teilen möchten, oder wenn Sie die Geschichten anderer hören möchten, die wir unter dem Motto „Threads of belonging/ Fäden der Zugehörigkeit“ erzählen möchten, kontaktieren Sie mich über:

integration@bad-mergentheim.de

Lassen Sie uns diese Stadt zu einer Stadt machen, in der Geschichten erzählt werden, in der sich niemand ausgeschlossen fühlt und in der jede Stimme gehört wird.